GEDANKEN ZUR INSPIRITATION VON ELLEN G: WHITE

 

Der Reichstag zu Speyer 1529

 

Viel folgenschwerer als obige Verwechslungen ist aber Ellen Whites Be­richt über den Reichstag zu Speyer 1529. Damals erhielten die Evangeli­schen den Namen "Protestanten" . Wie kam es dazu? Im Stadtarchiv von Speyer kann man es nachlesen (ich zitiere in Original-Schreibweise). E. Heuser berichtet in "Die Protestation von Speier" die Vorgeschichte:

 

"Seit acht Jahren, nämlich seit dem Reichstage von Worms 1521, auf dem Luther sein mannhaftes Wort  'Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen' gesprochen hatte, weilte Kaiser Karl V. nicht mehr in Deutschland, sondern im Lande seiner Erziehung, in Spanien, dessen Königsthron er schon inne hatte, als ihn 1519 die deutschen Kur­fürsten zum Kaiser wählten.

 

Von Worms aus hatte dama]s der Kaiser ein Edikt erlassen, demzufolge Luther and seine Anhänger mit der Acht belegt and seine Lehre verboten wurde. Aber die evangelischen Fürsten hielten sich nicht daran, und der Kaiser zeigte zunächst auch keine Lust, deswegen ent-scheidende Schritte zu tun, zumal er selbst mit dem Papst nicht auf bestem Fuße stand, Seine Heiligkeit sogar mit Krieg überzogen und dabei den Erfolg gehabt hatte, daß der kaiserliche Feldherr, der Konnetabel von Bourbon, im Jahre 1527 die wohlverteidigte Stadt Rom erstürmte, wonach der Papst in der Engelsburg durch deutsche Landsknechte unter Georg von Frunds­berg belagert und schließlich gefangen gesetzt wurde. Dieser Kriegszug war vom Kaiser deshalb unternommen worden, weil Papst Klemens VIl. den hartnäckigen Gegner Karls V., den König Franz I. von Frankreich, in seinem Streite mit dem Kaiser fortwährend unterstützte, ja 1527 sogar ein festes Bündnis mit dem König gegen Karl V. geschlossen hatte.

 

Im Jahre 1526 war in Speyer ein Reichstag abgehalten worden, and zwar - wie bei dem 1529 folgenden Speyerer Reichstag - unter dem Vorsitz von Karls V. Bruder Ferdinand, König von Böhmen und Ungarn. Auf diesem Reichstage bestand keine der beiden, durch ihre Religionsanschauungen getrennten Parteien unter den deutschen Fürsten and Ständen auf einer sofortigen Entscheidung der Glaubensangelegenheiten, sondern man einig­te sich dahin, daß eine besondere Gesandschaft den Kaiser bitten sollte, zunächst persönlich nach Deutschland zu kommen, um sodann gemeinsam mit dem Papste ein Konzil einzuberufen, oder doch, wenn der Papst dafür nicht zu haben wäre, eine Nationalversammlung in einer deutschen Stadt abzuhalten, sodaß man der beginnenden Religionsspaltung Einhalt tun, ja sich wieder zu einer einzigen Lehre vereinigen könne. Denn auch die evangelischen Stände hielten in jenem Zeitpunkt eine solche Vereinbarung noch für möglich und wünschenswert. Bis also ein Konzil oder eine ähnliche Versammlung zusammentrete, sollte gemäß dem Speyerer Reichtags­abschied von 1526 jeder Landesherr oder jede sonstige Obrigkeit ohne Ansehung des Wormser Ediktes so leben, regieren und es halten, wie ein jeder es sich vor Gott und dem Kaiser zu verantworten getrauen könnte." - Heuser, Seite 1-2.

 

Inzwischen hatten sich nun Kaiser and Papst wieder angenähert; der Papst forderte, das Luthertum im Reich völlig auszurotten; allein der Kaiser wollte im Moment nur die weitere Ausbreitung verhüten - es gleich ganz zu verbieten, wäre unklug gewesen, denn er war wegen der akuten Türkengefahr auch auf die Beteiligung und damit das Wohlwollen der evangeli­schen Fürsten and Städte angewiesen.

 

Zur Beschlußfassung im Sinne des Kaisers wurden auf dem Reichstag von Speyer 1529 schließlich 7 Punkte vorgelegt. A. Jung nennt sie in "Bei­träge zur Geschichte der Reformation"; erste Abteilung: Geschichte des Reichstages zu Speyer in dem Jahre 1529, mit einem Anhang von 56 Akten­stücken, darunter die Protestation von 1529"  (Straßburg and Leipzig, 1830)  auf Seite 21-22:

 

"Zuerst wurde wieder das allgemeine Concilium, and im Fall dieses nicht in zwei Jahren einberufen würde, eine allgemeine Reichsversammlung zu­gesagt, in welcher diese Angelegenheiten entschieden werden sollten. Dann wurde sowohl denjenigen Ständen, welche noch nichts geändert hat­ten, als auch denjenigen, welche die Reformation angenommen, untersagt, weitere Neuerungen vorzunehmen; der dritte Punkt betraf das Sakrament des Opfers, das Niemand in dem Reiche antasten solle; nach dem vierten Artikel sollte weder bei der einen noch bei der andern kirchlichen Par­tei die Messe abgestellt, sondern an allen Orten jedem dieselbe zu hören gestattet werden; der fünfte befahl die Bestrafung der Wieder­täufer; der sechste bezog sich auf die Büchercensur, die jedoch nach dem Nürnberger Abschied den Obrigkeiten übertragen blieb; endlich wur­den in dem letzten Artikel die Einkünfte eines jeden verwahrt, and stren­ge Strafen denjenigen an gedroht, welche solche einziehen würden. Dies bezog sich vorzüglich auf die kirchlichen Gefälle der Bischöfe, Kapitel and Orden, welche hin and wieder in Beschlag genommen worden waren."

 

Natürlich hatten die evangelischen Fürsten and Städte gegen manche die­ser Punkte einiges einzuwenden, da man ihnen die 1526 zugestandenen Freiheiten nun, soweit möglich, beschneiden wollte. In einer an den Kai­ser gerichteten Protestschrift, die A. Jung im Wortlaut bringt, bean­spruchen sie für sich die Religionsfreiheit. Am kürzesten werden die Punkte 5 and 6 abgehandelt, and zwar mit dem einen Satz:

"So wollen wir, was die nachvolgenden Punct, als die Widertauff und den Druck beührt, wie wir allwegen auf disem Reychs=Tag verstanden seind, mit Ewer Lieb und Euch auch eynig sein, und uns Inhalts derselbigen Punct, in allweg auch gepürlich zu halten wissen." - Seite xcii.

 

Vom mittelalterlichen Staub befreit, heißt dies nichts anderes, als daß die Unterzeichner dieser Protestation mit der Verfolgung der Wiedertäu­fer and unliebsamer Druckschriften einverstanden sind und sich wie bis­her daran halten werden.

 

Auch würden sie neben der evangelischen Messe (= Abendmahl) in ihren Gebieten keine katholische Messe abhalten lassen. Sie bestanden darauf, "... wann wir in unsern Stetten, Flecken and Gebieten, zweyerley ein­ander widerwertig Messen halten lassen würden ...", dies "gar zu keinem Frid noch Eynichkeyt dienen würde." - Seite xcix - c.

 

Wir sehen hier bereits die ersten Auswirkungen des von Luther ab Ende 1526 vertretenen Prinzips, daß der jeweilige Landesfürst in Religions­sachen seiner Untertanen zu entscheiden habe and nicht etwa jeder Unter­tan selbst. Damit war die protestantische Staatskirche gegründet und herrschte mit staatlicher Gewalt bald so souverän wie die katholische Kirche. Alle anderen blieben weiterhin überall der Verfolgung ausgesetzt.

 

Aus den Verhandlungsprotokollen von Speyer geht immer wieder hervor, daß es nur um die Sicherung der Rechte der evangelischen Städte nach der Lehre Luthers and Zwinglis ging, daß aber alle weitere Neuerung, Sekten und Wiedertäufer bei Strafe zu verbieten seien. - Vgl, bei A. Jung die Seiten xxx, lv, lxxxvi, lxxxvii

 

Das bestätigt auch Samuel H. Geiser in "Die taufgesinnten Gemeinden im Rahmen der allgemeinen Kirchengeschichte"" 2. Aufl. 1971: Sie forder­ten daselbst für sich die Glaubensfreiheit. Auf demselben Reichstag wurde von den lutherischen and römisch-katholischen Fürsten and Stän­den gemeinsam cie Unterdrückung der 'Sekten' and 'Ketzer' beschlossen. Alles, was Kirche hiess, verbündete sich zu einem Vernichtungskrieg ge­gen die ausserhalb eines kirchlichen Rahmens stehenden Gemeinschaften, gegen welche unter dem allgemeinen Namen 'Wiedertäufer' eine wahre Hetz­jagd begann. - Seite 89.

 

Nun ist es nur noch eine Frage unserer eigenen Einstellung zum Staats­christentum einerseits and zu Glaubenstaufe and Sabbat andererseits, ob wir den Reichstag zu Speyer 1529 positiv oder negativ beurteilen. Ellen White bezog wie folgt Stellung:

 

"Eines der edelsten jemals für die Reformation vorgebrachten Zeugnisse war der von den christlichen Fürsten Deutschlands auf dem Reichstag zu Speyer 1529 abgegebene Protest. Der Mut, der Glaube and die Standhaf­tigkeit jener Männer Gottes erbrachte für nachfolgende Zeitalter Mei­nungs- und Gewissens-freiheit. Ihr Protest gab "der reformierten Kirche den Namen Protestanten; ihre Prinzipien sind das eigentliche Wesen des Protestantismus'           -  D'Aubigne, Buch l3, Kap.6." -GC197 = GK 197.

 

"Die in diesem berühmten Protest enthaltenen Prinzipien . . . stelllen das eigentliche Wesen des Protestantismus dar. Dieser Protest stellt sich nämlich gegen zwei menschliche Mißbräuche in Glaubenssachen: der erste ist die Einmischung der Ziviibehörden und der zweite die Willkürherrschaft der Kirche . . . - Ebenda, Buch 13, Kap. 6 . . . Der Protest von Speyer war ein feierliches Zeugnis gegen religiöse Intoleranz and eine Beanspruchung des Rechts aller Menschen, Gott nach ihrem eigenen Gewissen anzubeten." - GC 203-204  =  GK 203-204,

 

Kein Wunder, daß Ellen White ab der Reformation die wahre Gemeinde bei den Protestanten suchte, statt wie bisher bei den Verfolgten, bei Täufern and Sabbathaltern. Der ganze Fortgang des Großen Kampfes" wird hiervon beeinflußt.

 

Dabei schrieb sie an anderer Stelle selbst: "Der Wille Gottes, der so offensichtlich in Seinem Wort geoffenbart ist, wurde von Irrtümern and Traditionen verdeckt, die als die Gebote Gottes gelehrt wurden. Obwohl diese den Himmel herausfordernde Verführung bis zur Wiederkunft Jesu geduldet wird, ist Gott doch in all dieser Zeit des Irrtums and der Ver­führung nicht ohne Zeugen geblieben. Inmitten der Finsternis and Verfol­gung der Gemeinde hat es immer Wahrhaftige and Treue gegeben, die alle Gebote Gottes gehalten haben. - EW 216 = EG 206.

 

Statt von Siebenten-Tags-Baptisten and ähnlichen Gruppen lesen wir aber im "Großen Kampf" von Wesley and anderen Sonntagshaltern.  Das kann auch gar nicht anders sein, denn die Autorin selbst fußt auf der Millerbewe­gung, die sich aus sonntagshaltenden Protestanten zusammensetzte.

 

Der Reichstag von Speyer 1529 wird natürlich von Protestanten sehr po­sitiv hingestellt. Gewiß hat sich Ellen White - wie schon bei den Interdikten 1411/1412 - zu sehr auf Geschichtsschreiber verlassen. Da hier aber nicht nur ein Jahr, sondern über 300 Jahre Kirchengeschichte auf dem Spiel stehen, ist es unbegreiflich, wie sie bei der Darstellung des großen Kampfes zwischen Licht und Finsternis derart die Fronten verwechseln konnte und dennoch göttliche Inspiration für sich beansprucht.

 

Doch war sie im Alter von 77 Jahren noch davon überzeugt:  "Es befindet sich eine gerade Wahrheitskette ohne einen einzigen Satz der Irrlehre in dem, was ich geschrieben habe."(While I am able to to this work, the people must have these things to revive past history, that they may see that there is one straight chain of truth, without one heretical sentence, in that which I have written. This, I am instructed, is to be a living letter to all in regard to my faith.)  Letter 329 A von 1905.

 

 

Dieter Heimke

Deutschland